Meine Meinung zu...

Es war schon immer fraglich, ob Leistung über den Aufstieg entscheidet. Aber wollen wir sie wirklich durch Identität ersetzen?

1. Feb 2023

Es geht gegen Mitternacht, man segelt geschlossen Richtung Selbstehrlichkeit;

die fünf Manager werden redselig – alles Männer zwischen 28 und 45 Jahren.

Aus der Erinnerung fasse ich zusammen: Sie fühlen sich im Unternehmen

zurückgesetzt, übergangen, nicht mehr „zu Hause“. Sie hatten erwartet, vorwärtszukommen,

wenn sie gute Arbeit leisten und sich geduldig in die Warteschlange

zur Unternehmensspitze stellen. Nun aber kommen andere daher

und beanspruchen nicht nur irgendwelche Plätze, sondern die besten: aus der

zweiten Reihe amerikanischer Unternehmen importierte Frauen für den Aufsichtsrat,

Frauen überhaupt, diverse Vertreter minoritärer Gruppen, hyperindividualisierte

Schnösel der Generation Z. Dadurch wird es nicht nur eng in der

Warteschlange, es ändern sich auch die Kriterien, wer in dieser Schlange am

schnellsten vorankommt. Plötzlich berechtigt nicht mehr Leistung dazu, weiter

vorne zu stehen, sondern andere Merkmale: die Identität oder die Herkunft beispielsweise.

Die eigene Lebensweise des Anstrengens, Wartens und Loyalseins

wird als rückständig erlebt. Vor allem die beiden jüngsten Manager fühlen sich

in ihrem Mannsein diffamiert, in ihren Berufs- und Lebensplänen behindert.

Die Älteren monieren, dass sie Englisch reden sollen, und, falls man im Deutschen

bleiben darf, von „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ oder gar von „Mitarbeitenden“

zu sprechen haben. Sie fühlen sich nicht nur fremd in der eigenen

Firma, sondern auch fremd in der eigenen Sprache. So weit meine Erinnerung.

Man mag rufen: „Heult leiser, Jungs!“ Aber die bürgerliche Gesellschafth at[e

die mittelalterliche Ständegesellschaft einst mit dem Versprechen abgelöst, dass

Leistung dem Einzelnen seinen Platz in der Gesellschaft zuweise. Und eben

nicht die Zugehörigkeit zu sexuellen, ethnischen oder sonstigen Gruppen. Das

hat zu einem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung geführt.

Zwar war es schon immer nur halb richtig, dass lediglich die Leistung für

den Aufstieg zählt – zu unscharf ist der Leistungsbegriff, zu unterschätzt der

Zufall. Aber wir sollten uns gut überlegen, ob wir es uns leisten können, das

Leistungsprinzip mehr und mehr durch Identitätsmerkmale zu ersetzen und in

einen Feudalismus zurückzufallen, der im Namen der Antidiskriminierung

individuelle Rechte durch Kollektivrechte ersetzt. Das Unternehmen darf nicht

im Bestreben, allen, wirklich allen, gerecht zu werden, zu einer toxischen

Mischung aus inklusiver Behandlung merkmaldefinierter Anspruchsgruppen,

achtsamem Umgang mit Miniproblemen und doktrinärem Duckmäusertum verkommen.

Mindestens sollten wir die Gefühle des Abgedrängtwerdens einer unternehmerischen

Kerngruppe ernst nehmen – jener „erschöpften Mehrheit“, die

den Eindruck hat, in der gegenwärtigen Hysterie nicht mehr zu Wort zu kommen.

Dienen wir blind dem Wohl weniger, könnte uns allen unwohl werden.