Meine Meinung zu...
Es war schon immer fraglich, ob Leistung über den Aufstieg entscheidet. Aber wollen wir sie wirklich durch Identität ersetzen?
Es geht gegen Mitternacht, man segelt geschlossen Richtung Selbstehrlichkeit;
die fünf Manager werden redselig – alles Männer zwischen 28 und 45 Jahren.
Aus der Erinnerung fasse ich zusammen: Sie fühlen sich im Unternehmen
zurückgesetzt, übergangen, nicht mehr „zu Hause“. Sie hatten erwartet, vorwärtszukommen,
wenn sie gute Arbeit leisten und sich geduldig in die Warteschlange
zur Unternehmensspitze stellen. Nun aber kommen andere daher
und beanspruchen nicht nur irgendwelche Plätze, sondern die besten: aus der
zweiten Reihe amerikanischer Unternehmen importierte Frauen für den Aufsichtsrat,
Frauen überhaupt, diverse Vertreter minoritärer Gruppen, hyperindividualisierte
Schnösel der Generation Z. Dadurch wird es nicht nur eng in der
Warteschlange, es ändern sich auch die Kriterien, wer in dieser Schlange am
schnellsten vorankommt. Plötzlich berechtigt nicht mehr Leistung dazu, weiter
vorne zu stehen, sondern andere Merkmale: die Identität oder die Herkunft beispielsweise.
Die eigene Lebensweise des Anstrengens, Wartens und Loyalseins
wird als rückständig erlebt. Vor allem die beiden jüngsten Manager fühlen sich
in ihrem Mannsein diffamiert, in ihren Berufs- und Lebensplänen behindert.
Die Älteren monieren, dass sie Englisch reden sollen, und, falls man im Deutschen
bleiben darf, von „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ oder gar von „Mitarbeitenden“
zu sprechen haben. Sie fühlen sich nicht nur fremd in der eigenen
Firma, sondern auch fremd in der eigenen Sprache. So weit meine Erinnerung.
Man mag rufen: „Heult leiser, Jungs!“ Aber die bürgerliche Gesellschafth at[e
die mittelalterliche Ständegesellschaft einst mit dem Versprechen abgelöst, dass
Leistung dem Einzelnen seinen Platz in der Gesellschaft zuweise. Und eben
nicht die Zugehörigkeit zu sexuellen, ethnischen oder sonstigen Gruppen. Das
hat zu einem beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung geführt.
Zwar war es schon immer nur halb richtig, dass lediglich die Leistung für
den Aufstieg zählt – zu unscharf ist der Leistungsbegriff, zu unterschätzt der
Zufall. Aber wir sollten uns gut überlegen, ob wir es uns leisten können, das
Leistungsprinzip mehr und mehr durch Identitätsmerkmale zu ersetzen und in
einen Feudalismus zurückzufallen, der im Namen der Antidiskriminierung
individuelle Rechte durch Kollektivrechte ersetzt. Das Unternehmen darf nicht
im Bestreben, allen, wirklich allen, gerecht zu werden, zu einer toxischen
Mischung aus inklusiver Behandlung merkmaldefinierter Anspruchsgruppen,
achtsamem Umgang mit Miniproblemen und doktrinärem Duckmäusertum verkommen.
Mindestens sollten wir die Gefühle des Abgedrängtwerdens einer unternehmerischen
Kerngruppe ernst nehmen – jener „erschöpften Mehrheit“, die
den Eindruck hat, in der gegenwärtigen Hysterie nicht mehr zu Wort zu kommen.
Dienen wir blind dem Wohl weniger, könnte uns allen unwohl werden.